MBGNR

Stagnierende Machtentfaltung

vom 10.10.2003

Die Zeit arbeitet gegen die Bush-Administration - sie gerät in die Defensive

Anfang Mai hat George W. Bush das Ende des Irakkrieges verkündet, aber den Frieden hat er dort ebensowenig errungen wie in Afghanistan.

Stattdessen werden die mit erstaunlicher statistischer Präzision verübten Anschläge auf amerikanische Soldaten im Irak zu einer ungeliebten Konstante im öffentlichen Leben der USA. Das Unbehagen über diese Situation ähnelt dem Unbehagen großer Teile der Bevölkerung zu Zeiten des Vietnam-Krieges. Bush hat im Irak den Vorteil, das das Handeln seiner Soldaten weithin als sauber anerkannt wird, es gibt keine Entsprechung zum Massaker von My Lai. Aber er hat den Nachteil, dass die Kosten für das Engagement im Irak sich in unglaubliche Höhen schrauben, ohne das den USA ein ständig wachsender Vorteil zukäme.

Zudem waren Änderungen bei der Einschätzung der Regierungsarbeit erforderlich, was in den USA offenbar für viele ein Anstoß zum tieferen Nachdenken war. Dazu gehört zum Beispiel, dass sich die Bush-Administration offenbar Illusionen über die Faszination des Amerikanischen Traumes gemacht hat. Die Iraker möchten diesen Traum nicht aufgezwungen bekommen, sondern träumen offenbar einen anderen Traum - solche Art von Träumerei beherbergt meistens eine Menge Unheil. Die vermutlich gravierendste Änderung ist, dass die möglicherweise vorhandenen Massenvernichtungswaffen, mithin also eine konkrete Bedrohung, nicht erwiesen waren und somit nicht Kriegsgrund waren. Spätestens seit den Äußerungen des selbstherrlich-unbedachten Herrn Wolfowitz ist das klar. Und schließlich scheint man in Washington der Ansicht zu sein, dass es sowohl für Staaten als auch für Unternehmen eine Ehre (oder ein Riesengeschäft) ist, am Wiederaufbau des Iraks teilzunehmen, sonst wäre die Irritation nicht zu erklären, die sich in Washington zeigte, als vor allem Deutschland und Frankreich auf die entsprechende Einladung durch die USA sich ausgesprochen reserviert zeigten.

Für die Öffentlichkeit auch in den USA erweisen sich also die folgenden Aussagen als wahr: Die Regierung hat für wichtige außenpolitische Schritte bis hin zur Kriegsführung erlogene Begründungen angeführt. Die Regierung hat sich auf die Überführung der irakischen Gesellschaft vom Saddam-Regimes in ein international vertrauenswürdiges und die Menschenrechte respektierendes System mangelhaft vorbereitet, das Gelingen dieser Transformation ist ungewiss. Die Regierung hat mit ihren Aktivitäten im Irak einen Weg beschritten, auf dem nur wenige Partner mitgehen, vor der Weltöffentlichkeit stehen die USA eher isoliert da.

Diese Erkenntnisse könnten zu heftigsten Reaktionen Anlass sein, aber man hat wenigstens einiges daran zu kauen. Dass die Regierung bei der Kriegsvorbereitung gelogen hat, um die Öffentlichkeit zu beeinflussen, ist offenbar von geringer Bedeutung, da der Krieg ja siegreich geführt wurde. Da muss man jetzt nicht mühsam einen Schuldigen suchen. Hier hat der gute Ausgang die Mittel geheiligt, und der im Nachhinein angebotene Kriegserfolg (Toni Blair (sinngemäß): "Der Irak ohne Saddam ist ein besserer Irak") wird weitgehend akzeptiert. Ein kleiner unschöner Beigeschmack bleibt natürlich, denn bei allen Aktionen in der Zukunft wird man sich an diese Täuschung erinnern und erneut eine solche wittern. Die Tatsache, dass im Irak keine ruhigen Verhältnisse einkehren, wird wenig geschätzt, ebenso, dass die Kosten der Umgestaltung des Irak dauerhaft sehr hoch sein werden. Dass die USA weltpolitisch isoliert dastehen, ist in der Vergangenheit noch nie von großer Relevanz für die Einschätzung der Regierungsarbeit gewesen, das wird wohl auch jetzt eine Angelegenheit von wenigen außenpolitisch Sensiblen bleiben, aber sonst niemanden aufregen.

Innenpolitisch sieht es nicht besser aus. Der Innenpolitik kommt bei der Einschätzung der Regierungsarbeit eine wesentlich größere Rolle zu als der Außenpolitik. In nächster Zeit beginnt in den USA der Wahlkampf, da wäre es sehr schlecht, wenn Grübelei und Kritisierei überhand nehmen würden. Nur läßt sich leider in der Innenpolitik nicht so leicht eine Besserung installieren, die als Beweis guter Regierungsarbeit taugen könnte. In der Außenpolitik ist es auch nicht so einfach, einen dauerhaften Erfolg zu präsentieren, aber wenigstens kurzfristig läßt sich, mit Hilfe des personell und materiell hervorragend ausgestatteten Militärs, doch immer ein Erfolg erzeugen.

Manche Aktivitäten seit diesen Sommer lassen vermuten, dass in der Bush-Administration durchaus schon daran gearbeitet wird, aus der Defensive herauszukommen und wieder selbst Themen und Stimmungen zu bestimmen.

Im späten Sommer war der Iran im Blickpunkt, der sich sein Engagement im Bereich der Nuklearforschung weder nehmen lassen noch kontrollieren lassen will. Halbherzige Erwiderungen von Seiten der USA. Nordkorea besteht gar auf der Option, Atomwaffen zu bauen. Von den USA kaum Reaktion. Die Gründe für diese Fälle von Zurückhaltung werden hier nicht weiter bedacht. Aktueller Favorit ist Syrien, das Ziel eines Überfalls durch das israelische Militär wurde, weil nach einem Anschlag gegen Israel in Syrien ein mutmaßliches Terroristen-Ausbildungslager vernichtet wurde. Das ist den USA Beweis genug für die Schlechtigkeit der Syrer, und es werden Sanktionen verhängt. Hoffentlich wird von der Bush-Administration die Lage günstig und der Gegner schwach eingeschätzt, damit rechtzeitig vor der Wahl dort ein Showdown inszeniert werden kann, der die Nation wieder hinter ihrem brillianten Führer versammelt. Nicht, dass der Showdown in ein Land aus der zweiten Reihe verlagert werden muss, also evtl. nach Kuba oder Libyen oder Deutschland.