Eine neue Weltordnung zeichnet sich ab
vom 30.01.2003
Eine Weltordnung wird nicht apodiktisch verkündet, sie wird nicht herbeigeredet. Die Amerikaner sind ja bekanntlich pragmatisch, und sie sind obendrein uneingeschränkt handlungsfähig. Also wird die Neue Weltordnung getan. Und das ist auch schon das wesentliche Element der Neuen Weltordnung, dass nämlich die USA handeln können, wie sie es für nötig halten, ohne andere Instanzen konsultieren zu müssen. Sie haben in den letzten Tagen immer wieder betont, dass sie die Unterstützung von Verbündeten suchen. Es wird immer offenbarer, was damit gemeint ist: Verbündete agieren an der Seite der USA, aber die USA muss die Verbündeten nicht konsultieren. Die Verbündeten machen einfach mit, ohne lange zu fragen und zu zaudern. Damit sind sie immerhin Teil der Ordnungsmacht der Neuen Weltordnung.
Die deutsche Haltung ist nicht nur Zaudern, sie ist Verweigern. Die aktuelle Terminologie legt es nahe, in dieser Haltung nicht nur die Weigerung zu sehen, den Irak vorsorglich zu überfallen. Vielmehr ist die Weigerung, Teil der Ordnungsmacht der Neuen Weltordnung zu sein, gleichbedeutend mit der Weigerung, sich auf die Seite des Guten zu stellen und den Kampf gegen das Böse zu führen. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann, zuerst sicher nicht in den Formulierungen, aber in den Zwischentönen, in denen eine Denkungsart sich offenbart, Deutschland der "Achse des Bösen" zugerechnet werden wird.
Dabei ist es völlig uninteressant, ob wir Deutschen da besondere Gründe haben, anders zu handeln oder in welcher Hinsicht sich unsere Einschätzung von der Einschätzung der USA unterscheidet. Der Antrieb für politisches Handeln ist kein kühles rationales Abwägen. Dieses mag ja zuweilen zu durchaus unmenschlichen Konsequenzen führen, aber es läßt sich immer auch mit den eigenen Mitteln bekämpfen. Das amerikanische Modell für das Zustandekommen politischer Taten ist aber offensichtlich ein ganz anderes.
Für Europa ist zumindest für den heutigen Tag festzuhalten, dass das Projekt, die Weltpolitik mitzugestalten, gescheitert ist. Der Auslöser für die heutige Verlautbarung der Aufrechten Acht ist die Verständigung der Franzosen mit den Deutschen anläßlich der Feierlichkeiten zur 40-Jahr-Feier des Freundschaftsvertrags. Zum einen erschien Deutschland hier in seiner Verweigerungshaltung nicht mehr isoliert, sondern im Wesentlichen einig mit Frankreich, zum anderen haben die beiden Staaten ihre Meinung relativ unverblümt als gültige aktuelle Stellungnahme Europas deklariert. Dass das den Briten über die Hutschnur geht, ist ja klar. Dass aber nicht nur die Engländer sich von dieser zur Schau gestellten Einheitsmeinung distanzieren, sondern eine ganze Reihe wichtiger Staaten ebenfalls, ist ein schwerer Schlag für die europäische Politik. Diesen Schlag haben ganz offensichtlich die USA ausgelöst. Rumsfelds Wort vom alten Europa ist womöglich genau deswegen gesagt worden, weil ihm klar war, das da auch noch was anderes aus Europa kommen wird. Es wird an anderer Stelle zu bedenken sein, dass seit Jahrzehnten von den USA immer wieder eine größere und einheitlichere politische Stellungnahme der Europäer erwartet und angemahnt wird, dass die USA aber jetzt die Chance nutzen, einen Spaltpilz in Europa auszusetzen.
Es scheint in der aktuellen Situation, dass das dringendste Anliegen der deutschen Außenpolitik sein müsste, die Gemeinsamkeiten in der Außenpolitik der europäischen Partner in den Vordergrund zu stellen und das Auseinanderdriften zu stoppen. Gelingt das nicht, ist der europäische Einigungsprozess insgesamt in Gefahr.
Aus heutiger Sicht ist allerdings eher wahrscheinlich, dass die Positionen der europäischen Staaten weiter auseinanderdriften. Da bleibt nur der oft als zynisch angesehene Kommentar, dass die Erfahrung der eigenen Bedeutungslosigkeit, die die Europäer dann in den kommenden Jahren machen würden, vielleicht später doch noch ein gemeinsames Auftreten auf der Weltbühne beschleunigt - und sich ohne diese Erfahrung weiter so zäh dahingeschleppen würde, wie in den vergangenen 40 Jahren.